Am 20. März 2021 demonstrierten rund 1000 AntifaschistInnen in der Stuttgarter Innenstadt gegen staatliche Repression und für einen konsequenten und militanten Antifaschismus. Anlass hierfür war die vermehrte Verfolgung der antifaschistischen Bewegung in Baden-Württemberg im Nachgang der „Querdenken“-Demonstrationen im Frühjahr 2020 in der Landeshauptstadt. Darüber hinaus waren aber auch weitere Repressionsschläge gegen die außerparlamentarische Linke, wie das §129-Verfahren in Frankfurt am Main und die Inhaftierung der Antifaschistin Lina aus Leipzig, Thema.
Aus der kämpferischen und gerade im vorderen Bereich organisiert auftretenden Demonstration heraus wurde immer wieder Pyrotechnik gezündet. Zudem wurde das Stuttgarter Landgericht, vor dem im April 2021 die beiden Antifaschisten Jo und Dy der Prozess gemacht wird, aus der Demonstration heraus mit Farbflaschen angegriffen.
Gemeinsam mit vielen anderen haben wir zu der überregionalen Demonstration mobilisiert, Anreisen gestemmt, uns maßgeblich an der Organisation der Demo beteiligt und auf der Auftaktkundgebung gesprochen. Wir erachten die überregionale Mobilisierung mit einer vierstelligen Teilnehmendenzahl trotz Covid19-Pandemie organisatorisch als Erfolg und werten auch die offensive Stoßrichtung der Demonstration als politisch richtungsweisend.
Der Staat schlägt nicht ohne Grund zu
Die Repression gegen die antifaschistische Bewegung im Allgemeinen und im Nachgang der militanten Interventionen gegen „Querdenken711“ in Stuttgart 2020 im Besonderen, reiht sich ein in eine Vielzahl von Verfahren bundesweit. Besonders organisierte Zusammenhänge oder militante Angriffe auf Nazis sind hierbei im Fadenkreuz der Repressionsbehörden.
Der staatliche Frontalangriff mit Hausdurchsuchungen, Observationen und Inhaftierungen ist auch aufgrund des Stellenwerts des konsequenten antifaschistischen Kampfes für die gesamte linke Bewegung wenig verwunderlich. So ist er doch einerseits der Ort, an dem die antikapitalistische Linke über Bündnisse und eine aktionistische Praxis schnell gesellschaftliche Wirkmacht entfalten kann. Andererseits drängt er reaktionäre Krisenlösungen zurück und bekämpft aktiv Rechte und Faschisten. Damit schafft der praxisorientierte Antifaschismus Raum für linke Perspektiven. Eine starke, antifaschistische Bewegung ist von Bedeutung für die gesamte Linke. Ihre Notwendigkeit lässt sich leicht aus der aktuellen gesellschaftlichen Situation, einer erstarkenden Rechten und sich verschärfenden Krise herleiten.
Den Spieß umdrehen
In diesem Zusammenhang hat die Demonstration in Stuttgart gezeigt, dass es als antifaschistische Bewegung trotz Repressionsschlägen möglich ist, nicht an diesen zu zerbrechen. Durch eine starke überregionale Mobilisierung verschiedener Städte vor allem aus Süddeutschland, aber auch bundesweit ist der Spieß umgedreht worden und ein deutliches Signal hinter die Knastmauer gesendet worden. Aus einem Angriff der Behörden auf Einzelne wurde ein Zusammenwachsen der Bewegung auf der Straße mit einer spektrenübergreifenden Beteiligung, insbesondere aus unterschiedlichen Teilen der radikalen Linken.
Die starke überregionalen Beteiligung, aber auch der offensive und selbstbestimmte Ausdruck auf der Straße durch gut organisierte und strukturierte Reihen im kompletten vorderen Bereich bis zum Lautsprecherwagen, haben zum Erfolg der Demonstration beigetragen. Gerade das geschlossene und kämpferische Auftreten der gesamten Demonstration war mit dafür verantwortlich, dass die sonst penible und wenig zimperliche Stuttgarter Polizei am 20. März 2021 zur Passivität und zum Zuschauen verdammt war. Ein polizeiliches Einschreiten, das war unübersehbar, wäre nur mit massivem Aufwand und offenem Ergebnis möglich gewesen.
Letztlich ist die gemeinsame Gestaltung der Demonstration für uns ein weiterer qualitativer Schritt, da sich hier eine Organisierung als Antifaschistische Aktion in Süddeutschland praktisch auf der Straße gezeigt hat. Deren Bedeutung können wir sowohl im Angesicht der aktuellen, gesellschaftlichen Situation, aber auch in der Frage des Umganges mit Repression nicht genug betonen.
Und weitermachen
Die letzten beiden Jahre bleiben viele aufgrund der rechten Terroranschläge in Halle und Hanau im Kopf. Die zunehmende und breite Militarisierung rechter und faschistischer Kräfte geht einher mit der Verfestigung der organisatorischen und politischen Grundlagen der selbsternannten „Alternative für Deutschland“. Und auch das nicht-parteigebundene, straßenorientierte Nazimilieu befindet sich im Aufwind. Gerade im Zuge der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Krise stößt die organisierte Rechte mit reaktionärer Propaganda schnell auf Nährboden in der Gesellschaft. Das hat nicht zuletzt die „Querdenken-Bewegung“ gezeigt. In dieser Gemengelage ist der Aufbau eigener, auch überregionaler und handlungsfähiger antifaschistischer Strukturen ein entscheidender Schritt für die Linke, weiterhin aktiv und effektiv handeln zu können.
Gleichzeitig ist der Umgang der Bewegung mit Repression von Bedeutung. Das heißt einerseits, aus den gemachten Fehlern zu lernen und die Strukturen sowie die Bewegung besser zu schützen und die Arbeit gleichzeitig so zu gestalten, dass die antifaschistische Arbeit trotz Repressionsdruck und Kriminalisierung weiter stattfinden kann. Andererseits geht es darum, sich nicht einschüchtern zu lassen und der gezielten Vereinzelung durch Repression, die kollektive, spektrenübergreifende Solidarität entgegen zu stellen. Einen wichtigen Beitrag dazu liefern kollektive Momente auf der Straße. Sie helfen die Angst und die Unsicherheit, welche die Repression verursacht, gemeinsam zurückzudrängen und signalisieren Betroffenen: Ihr seid nicht alleine, wir sind viele und wir stehen zusammen.
Mit der Demonstration am 20. März 2021 in Stuttgart ist das gelungen. Gemeinsam haben wir gezeigt, dass Repression immer die gesamte antifaschistische Bewegung ins Fadenkreuz nimmt und egal wen sie trifft, uns alle meint und den gemeinsamen Kampf trifft.
Trotzdem dürfen wir uns auf der Stuttgarter Mobilisierung nicht ausruhen. Sondern müssen unmittelbar daran anknüpfen und weiterhin für eine starke und organisierte antifaschistische Bewegung kämpfen.
Die antifaschistische Aktion aufbauen!
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Im März 2021
Unsere Rede auf der Demonstration:
Liebe AntifaschistInnen, liebe Antifaschisten,
Wir sind acht Antifa-Gruppen aus dem Südwesten, die seit mehreren Jahren praktische Antifaarbeit organisieren. Wir kommen aus Karlsruhe, Mannheim, Tübingen, Stuttgart, Villingen-Schwenningen, München, dem Rems-Murr-Kreis und der Südlichen Weinstraße. Heute sprechen wir gemeinsam.
Oft wenn die antifaschistische Bewegung auf die Straße geht, wenn AfD Wahlkämpfe gestört werden oder Nazis in die Schranken gewiesen werden, wird hinterher über Gewalt gesprochen. Die Rechten empören sich und sprechen von Terrorismus. Aber auch JournalistInnen verurteilen und schreiben von Extremismus. Und gar manche, mit antifaschistischem Selbstverständnis, distanzieren sich und finden diese oder jene Aktionsform schlecht oder schädlich.
Natürlich geht es aber nicht um Gewalt.
Mit der unglaublich abstrakten Diskussion über das Mittel der Gewalt, dem Herauslösen von Aktionen und Aktionsformen aus dem gesellschaftlichen Kontext, mit dem Stempel „gewalttätig“, als einziges, als charakterisierendes Adjektiv …soll konsequente antifaschistische Praxis delegitimiert werden!
Manche von uns antworten hierauf, indem sie auf rechten Terrorismus, auf rassistische Brandanschläge und Morde, auf Halle, Hanau oder Hoyerswerda, auf den NSU, auf Uniter, Nordkreuz und die zahlreichen weiteren bewaffneten, faschistischen Gruppen verweisen.
Das ist richtig. Schließlich ist antifaschistische Praxis kein Selbstzweck, sondern die Antwort auf bzw. der Abwehrkampf gegen diese Phänomene! Eine Notwendigkeit.
Und eben diese Notwendigkeit stellt ein einziges Kriterium an antifaschistische Praxis: Nicht, ob sie „schön“ oder „angenehm“ ist, nicht ob sie verurteilt werden kann. Sie muss wirken!
„Wirkung“ ist dabei mehr, als den Rechten unmittelbaren finanziellen oder körperlichen Schaden zuzufügen. „Gewalt wirkt“ heißt nicht, dass nur Gewalt wirkt. Recherche und Aufklärungsarbeit, viele Menschen in Aktion zu bringen, breite, aktionsorientierte Bündnisse zu schließen und Naziaufmärsche zu blockieren gehören genauso zur notwendigen antifaschistischen Praxis. Die direkte Konfrontation aber eben auch!
Mit dem ganzen Spektrum dieser Mittel wurde im Frühjahr 2020 in Stuttgart auch auf die hier entstehende und erstarkende Querdenken-Bewegung reagiert.
AntifaschistInnen verteilten Flyer und klebten Plakate, um früh auf die Beteiligung organisierter Rechter aufmerksam zu machen und verschwörungstheoretischen, stark personifizierenden Tendenzen entgegen zu wirken. Im Bündnis mit gewerkschaftlichen und anderen linken Kräften wurden eigene Kundgebungen gegen die Einschränkung von Freiheitsrechten, gegen die Abwälzung von Krisenfolgen auf dem Rücken der Lohnabhänigen und mit klarer Kante gegen Rechts organisiert.
Aber auch militante Aktionen brachten die Querdenken-OrganisatoInnen in die Bredouille: Der Brand der Lautsprechertechnik-LKWs und die Angriffe auf Nazis der rechten Scheingewerkschaft „Zentrum Automobil“ dürften einen entscheidenden Einfluss auf die darauffolgende Entscheidung von Querdenken-Kopf Michael Ballweg gehabt haben, die wöchentlichen Kundgebungen in Stuttgart auf dem Zenit ihrer Teilnehmendenzahl zu pausieren!
Aufgrund des Vorwurfs, an einer dieser Aktionen beteiligt gewesen zu sein, kam es zu mehreren Hausdurchsuchungen. Zwei Genossen wurden in Untersuchungshaft gesteckt, einer der Genossen sitzt immer noch!
Unsere Grüße gehen raus an Dy! Wir stehen hinter dir! Genau wie wir hinter Jo, hinter Lina und hinter allen anderen, derzeit von Repression Betroffenen, stehen!
Die Angeklagten im kommenden Prozess werden sich vor Gericht verteidigen müssen –– das, wofür sie auf der Anklagebank sitzen – einen konsequenten Antifaschismus – verteidigen wir heute gemeinsam, auf der Straße!
Antifaschismus bleibt – der Repression zum Trotz – ein vielschichtiger Kampf, ein Kampf auf verschiedenen Ebenen, mit verschiedenen Mitteln! Die Intensität des Kampfes, die Gewichtung der Ebenen und die Wahl der Mittel ergeben sich aus der Notwendigkeit; ergeben sich aus der gesellschaftlichen Situation.
Hier müssen wir konkreter werden. Halle und Hanau sind bereits gefallen, Kassel ließ sich hinzufügen – eine Analyse der gegenwärtigen Situation muss aber über eine Aufzählung von Städtenamen hinausgehen.
Zunächst einmal sind die faschistischen Morde nämlich nur die Spitze des Eisbergs. Sie werden begleitet von und stehen in einem Verhältnis zu _ den verschiedenen rechten und rechtsoffenen Massenbewegungen: Von der „Demo für Alle“, über PEGIDA, „Nein zum Heim“ und „Kandel ist überall“, bis hin zu „Querdenken“. Sie werden begleitet von und stehen in einem Verhältnis zu _ den Wahlerfolgen der AfD und dem resultierenden Auf- und Ausbau des rechten Parteiapparates, inklusive ihres faschistischen Flügels. Sie werden begleitet von und stehen in einem Verhältnis zu _ rechten Organisierungs-Experimenten in den Großbetrieben der Metall- und Elektroindustrie.
Aber auch in ihrer Gesamtheit sind diese Phänomene noch keine ‚Analyse der gegenwärtigen Situation‘. Rechte Massenbewegungen, das Erstarken rechter Parteien, kurzum, ein gesellschaftlicher Rechtsruck mit all den genannten Ebenen passiert nicht „einfach so“, „aus dem Nichts“.
Es sind gesellschaftliche Krisen, die Rechten das Potential bieten in die Offensive zu kommen; in denen rechte Mobilisierung auf fruchtbaren Boden fallen.
Wirtschafts- und Währungskrisen, wie sie im kapitalistischen System zu erschreckender Regelmäßigkeit verdammt sind. Aber auch – oft damit einhergehende – politische Krisen, wie der Umgang mit der 2015 rasant angestiegenen Zahl nach Europa flüchtender Menschen oder aktuell der Umgang mit der globalen Corona-Pandemie.
In Krisenzeiten werden Probleme, die hinter der Maske der bürgerlichen Demokratie immer schon vorhanden waren, plötzlich für viele Menschen sicht- und spürbar. Rechte Politik bietet hier – seit jeher – einfache und schnell greifbare Antworten, eindimensionale Erklärungen und konkrete Feindbilder.
Wo das zieht, wandeln sie Ungewissheit, Angst und Unmut im Angesicht von realen Problemen, wie Verteilungskämpfen oder Werksschließungen, in jämmerliches „Nach-unten-Treten“; in die Spaltung von Menschen mit eigentlich gemeinsamen Interessen.
In dieser Funktion ist rechte Politik systemstabilisierend; ist sie ganz im Sinne der Herrschenden, gegen die sie doch immer wieder vorgibt, „Opposition“ bzw. „Alternative“ zu sein!
Ob diese Inszenierung aufgeht, liegt jedoch mithin an uns!
Dabei gilt nicht nur, dass wir das krisenhafte kapitalistische Wirtschaftssystem überwinden müssen, um den Rechten ein für alle Mal ihren Nährboden zu entziehen, sondern auch umgekehrt: Um dieses krisenhafte kapitalistische Wirtschaftssystem zu überwinden – und dazu sind Krisen immer auch Chancen – müssen wir die Rechten bekämpfen!
In der Krise braucht es linke Antworten. Klar. Dafür aber, braucht es nicht weniger Antifa. In der Krise braucht es mehr ‚Antifa‘!
Mit Klassenstandpunkt. Immer in einem Verhältnis zur „Systemfrage“. Aber als eigenständiger Abwehrkampf. Mit dem klaren Ziel: Den Aufbau rechter Strukturen einzuschränken, rechten Einfluss auf Massenbewegungen zurückzudrängen, Minderheiten und fortschrittliche Bewegungen gegen Angriffe von Faschisten zu verteidigen …und dadurch letztlich Raum für revolutionäre Antworten und Organisierungen zu schaffen!
Gerade jetzt, wo die Pandemie eine sich ohnehin anbahnende Wirtschaftskrise verstärkt, lautet die Parole: Konsequent antifaschistisch!
Dieses „Mehr“ an Antifa, bedeutet dabei allerdings nicht einfach mehr Menschen, mit einer antifaschistischen Haltung, mehr Menschen, die auch Mal einen Samstag Nachmittag in eine Kundgebung gegen Rechts investieren. „Mehr Antifa“ – das muss vor allen Dingen heißen: Mehr Organisierung!
Nachhaltige, echte Schlagkraft können wir nur entfalten, wenn wir uns zusammen schließen und Strukturen schaffen, die diesen Kampf organisieren!
Strukturen, die Theorie und Praxis aneinander entwickeln und immer wieder aufs Neue überprüfen; die eine – heute nur skizzierte – Analyse der gesellschaftlichen Situation treffen und daraus die richtigen Ansatzpunkte und die gebotenen Mittel ableiten. Strukturen, die eine Öffentlichkeitsarbeit entwickeln. Die Angebote für niederschwellige Arbeit gegen Nazis schaffen und Menschen aktivieren, die – auch ohne große Analysen – einfach keinen Bock auf Nazis haben. Strukturen, die bündnisfähig sind und andere gesellschaftliche Kräfte, die kein objektives Interesse an Faschismus oder einer Zuspitzung der Verhältnisse haben, in den antifaschistischen Kampf einbeziehen.
Überregionale Strukturen, denn auch der Feind koordiniert und organisiert sich überregional!
Das ist – wir hoffen, das haben wir mit unserem heutigen Beitrag verdeutlichen können – die gesellschaftliche Notwendigkeit; das Gebot der Stunde.
Die Antifaschistische Aktion aufbauen!