Kein zweites Lichtenhagen!

Diesen Text veröffentlichten wir im Dezember 2013 zum rassistischen Diskurs und den zunehmenden faschistischen Aktivitäten gegen Geflüchtete.

In den vergangenen Monaten mehrten sich rassistische Demonstrationen und Initiativen vor allem gegen neu eingerichtete Flüchtlingsunterkünfte in ganz Deutschland. Ob in Berlin Hellersdorf, im sächsischen Schneeberg oder im thüringischen Greiz: Die Nazis stoßen mit ihrer rassistischen Hetze immer mehr auf offenen Zuspruch bei der örtlichen Bevölkerung.

Im sächsischen Schneeberg ist die NPD dabei besonders erfolgreich. Dort beteiligten sich an verschiedenen Fackelmärschen gegen ein dortiges Flüchtlingsheim bis zu 2000 Menschen. Darunter sowohl offensichtliche Faschisten aber vor allem Bürgerinnen und Bürger von vor Ort.

Dieses Jahr gab es in Bundesrepublik bisher acht ungeklärte Brandanschläge auf Flüchtlingsheime, einen davon im badischen Wehr bei Lörrach. In mehreren baden-württembergischen Städten existieren bereits Initiativen gegen Flüchtlingsunterkünfte. So etwa in Sinsheim, Esslingen oder in Bretten im Kraichgau wo eine entsprechende Facebook-Seite bereits weit mehr als 1000 Fans hat.

Die NPD greift rassistische Resentiments auf und nutzt neue oder bereits existierende Flüchtlingsunterkünft als Anknüpfungspunkt für ihre menschenverachtende Hetze. Sie stellt sich dabei, wie etwa in Schneeberg an die Spitze der Initiativen. Auf der baden-württembergischen NPD-Seite werden bereits Flugblattvordrucke „Was tun gegen Flüchtlingsheime“ vom Schwenninger Nazikader Jürgen Schützinger bereitgestellt: Auch im Südwesten stehen die Faschisten bereits in den Startlöchern. Schützinger hetzt ausserdem bereits im Internet intensiv gegen ein geplantes Flüchtlingswohnheim in der Schwenninger Alleenstraße.

Das alles lässt unwillkürlich Parallelen zu der Situation in den 90er Jahren vor Brandanschlägen und Progromen gegen Flüchtlingsheime in Rostock-Lichtenhagen, Mölln, Solingen, Hoyerswerda oder Mannheim ziehen.

In Rostock-Lichtenhagen tobte ein rassistischer Mob im Sommer 1992 tagelang gegen eine Flüchtlingsunterkunft und ein Haus von vietnamnesischen Vertragsarbeitern. Die Polizei hielt sich gegenüber den Rassisten zurück als diese Steine gegen die Häuser schmissen, in denen sich immer noch MigrantInnen befanden, in eines eindrangen und Feuer legten. Stattdessen wurden AntifaschistInnen festgenommen, die kamen um Solidarität mit den Flüchtlingen zu demonstrieren und gegen den Mob vorzugehen.

In den vergangenen Monaten wird in der Öffentlichkeit wieder vermehrt rassistisch gegen Migrantinnen und Migranten Stimmung gemacht. Führende Politikerinnen und Politiker sprechen von der Problemmatik größer werdender „Flüchtlingsströme“, wie etwa Bundesinnenminister Friedrich, auch in großen Medien werden rassistische Resentiments geschürt („Die Welle kommt, wir können sie nicht aufhalten“ Schlagzeile der BILD vom 13.10. zitiert eine „Migrationsexpertin aus Neukölln“). „Das Boot ist voll“-Parolen werden so zunehmend salonfähig, von einer Qualität und Quantität der medialen Hetze wie zu Beginn der 90er Jahre („Für wie dumm hält man die Deutschen eigentlich?“ BILD-Hamburg 30.01.1991) ist die heutige Medienlandschaft dennoch ein Stück entfernt.

Dazu kommt die AfD (Alternative für Deutschland), die sich mit Forderungen gegen sozial Schwache und für ein noch restriktiveres Asylrecht rechts der CDU positioniert, bei den Bundestagswahlen im September aus dem Stand ein mit beinahe 5 Prozent beunruhigendes Ergebnis erreichte.

In Deutschland werden Flüchtlinge zunächst einmal nur „geduldet“. Sie werden in Flüchtlingsheimen untergebracht die meist von der Außenwelt abgeschnitten sind, dort müssen sie oft unter menschenunwürdigen Verhältnissen leben. Arbeiten dürfen Asylsuchende erstmal nicht, sie sind rassistischen Polizeikontrollen und regelmäßigen Razzien in ihren Unterkünften sowie einer Vielzahl an weiteren Problemen und Schikanen ausgesetzt.

Wenn Flüchtlinge gegen diese und noch viele weitere Probleme aufbegehren und wie etwa in diesem Jahr bereits in Berlin, Stuttgart und Bayern mit Hungerstreiks und Camps protestieren, folgen von politischen Vertretern nur Lippenbekenntnisse, eine generelle Verbesserung ihrer Lage erfolgt nicht.

Die Gruppe „Lampedusa in Hamburg“, die in den vergangenen Monaten mit ihrem Protest gegen unzumutbare Lebensumstände in der Öffentlichkeit großes Gehör fand, stieß trotz breiter Unterstützung aus der Bevölkerung bei den verantwortlichen Oberen der Hansestadt nur auf Widerstand. Die Landesregierung um Olaf Scholz (SPD) gibt den „harten Hund“ und will keine Kompromisse eingehen.

Aus antifaschistischer Sicht gilt es die Lage genau im Auge zu behalten. In vielen Punkten finden sich Parallelen zu der Situation in den 90er Jahren. Zwar kann man nicht behaupten, derartige Progrome stünden kurz bevor oder seien unausweichlich, aber es handelt sich durchaus um eine realistische Gefahr.

Es gilt sensibel zu sein und genau zu registrieren wo sich rassistische Initiativen gegen einzelne Flüchtlingsheime bilden. Sobald sich irgendwo Tendenzen zeigen, die auf gewaltsame Ausschreitungen gegen Flüchtlinge hindeuten, gilt es für uns aktiv zu werden, breite Solidarität zu zeigen und falls nötig auch schützend einzugreifen.

Sich dabei auf den Staat und die Polizei zu verlassen wäre ebenso fatal wie vor 21 Jahren, das zeigen nicht zuletzt auch die Verstrickungen staatlicher Instituionen in den Terror des „Nationalsozialistischen Untergrunds“.

Antifaschistische Aktion [O] Villingen-Schwenningen