Folgenden Artikel veröffentlichte der Arbeitskreis Antirepression Villingen-Schwenningen zu einem Prozess gegen einen Antifaschisten aus Villingen-Schwenningen auf der Internetplattform linksunten.indymedia.
Am 2. Juni stand ein Antifaschist aus Villingen-Schwenningen vor dem Göppinger Amtsgericht. Vorgeworfen wurde ihm versuchte schwere Körperverletzung im Zusammenhang mit den Protesten gegen den Naziaufmarsch in Göppingen am 12.Oktober 2013. Der Genosse soll mit einer ca. 45 Zentimeter langen, eingerollten Fahne einen behelmten Polizisten auf den Kopf geschlagen haben. Doch die Zeugen der Staatsanwaltschaft widersprachen sich, der Anklage gelang es auch darum nicht dem 22-Jährigen, die versuchte gefährliche Körperverletzung nachzuweisen. Das Amtsgericht verurteilte den Antifaschisten aus Villingen-Schwenningen dennoch zu einer Geldstrafe von dreißig Tagessätzen zu je 40 Euro zuzüglich Gerichtskosten. Der Vorwurf: Verstoß gegen das Versammlungsgesetz.
Der Antifaschist machte keine Angaben zur Sache, verlas allerdings eine politische Erklärung. Nach Aussage des Bereitschaftspolizisten aus Bruchsal, den er geschlagen haben soll, hatte er bei dem frontalen Angriff (keinem Angriff von hinten, wie ein anderer Polizist behauptet hatte) ein Folienschild vor das Gesicht gebunden. Auch sei die Fahne nicht zusammengerollt, sondern ausgerollt gewesen. Der Angeklagte wurde nach dem vermeintlichen Angriff durch den Polizisten am Boden fixiert.
Ein anderer geladener Bereitschaftspolizist aus Bruchsal, der seinem Kollegen bei der Festnahme geholfen hatte, konnte das so nicht bestätigten. Auf Nachfrage von Richterin Insa Müller, wo der Angeklagte das Folienvisier trug, war der Beamte ziemlich unsicher, ob er es vor das Gesicht gezogen hatte, als er festgenommen wurde, oder ob es nur um den Hals hing. Die Beamten konnten auch nicht alle Fragen zu einer Sturmhaube genau beantworten, die der Angeklagte bei sich getragen haben soll.
Der Verteidiger hatte einen Freispruch gefordert. Unter einer Schutzwaffe stellt er sich etwas Stärkeres vor als eine Plastikfolie: “Hier ist die Grenze zum Taschentuch fließend.
Richterin Müller ließ die Anklage, nach einer kurzen Unterbrechung, wegen versuchter schwerer Körperverletzung fallen. Die Plastikfolie – eine einfache „haushaltsübliche Folie“, die nicht einmal einen Millimeter in der Dicke misst – reichte ihr jedoch, um den Genossen wegen eines Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz zu verurteilen. Die Richterin stufte die Folie als Schutzwaffe ein. Außerdem rechnete sie dem Angeklagten eine Sturmhaube zu, die im Polizeiwagen gefunden wurde. Er muss nun eine Strafe in Höhe von 1200 Euro bezahlen. Eine weitere Begründung der Richterin war, dass der Angeklagte im Vorfeld bereits mehrfach wegen Verstößen gegen das Versammlungsgesetz aufgefallen sei.
Dies ist zwar ein Angriff auf einen, aber gemeint sind wir alle!
Arbeitskreis Antirepressionen Villingen-Schwenningen
Wir spiegeln die Erklärung des Antifaschisten aus der Doppelstadt:
“An das Gericht, die Staatsanwaltschaft,
sehr geehrte Prozessteilnehmerinnen und – teilnehmer!
Sehr geehrte Verteidigung,
Fakt ist, dass ich am 12. Oktober in Göppingen war, mit dem Ziel, den dort stattfindenden Naziaufmarsch zu verhindern. Fakt ist außerdem, dass dieser Aufmarsch der Faschisten nur durch die Polizei ermöglicht wurde – wie es so oft der Fall ist. Ob ich mich an diesem Tag der versuchten schweren Körperverletzung schuldig gemacht habe, muss das Gericht entscheiden. Für mich spielt dieser Gesichtspunkt ebenso wenig eine Rolle, wie die Frage, ob nach deutschem Recht eine kaum ein Millimeter dicke Folie und ein Gummiband in Besitz eines Demonstranten als Waffe gelten.
Für mich spielt es jedoch eine Rolle, dass fast 70 Jahre nach der militärischen Niederlage des deutschen Faschismus in Deutschland, es immer noch möglich ist, nazistisches Gedankengut öffentlich zu vertreten, mehr noch, dass es alten und jungen Nazis möglich gemacht wird, sich zusammenzuschließen, ihre menschenverachtende Ideologie auf die Straße zu tragen und sich danach wieder unversehrt in die eigenen vier Wände zurückzuziehen.
Oft heißt es, die Ziele der antifaschistischen Bewegung seien zwar richtig und legitim, man müsse sich jedoch an das Gesetz halten oder tun, was der Schutzmann sagt. Doch, dass solche Aussagen überhaupt keinen Sinn machen, in einem Staat, der Nazistrukturen ignoriert, deckt oder durch den Verfassungsschutz sogar direkt finanziert, sollte eigentlich mehr als klar sein.
Das Oktoberfestattentat 1980, die Pogrome vor Asylbewerberheimen in den frühen Neunzigern, der NSU-Komplex sind nur drei Beispiele, die zur Erkenntnis führen, dass es töricht wäre, staatlichen Stellen die Bekämpfung von Nazis und ihren Aktivitäten zu überlassen.
Doch warum unternimmt die Bundesrepublik Deutschland so wenig gegen rechte und faschistische Bewegungen? Die einfachste und daher auch beliebteste Antwort auf diese Frage ist sogenanntes “Staatsversagen” oder persönliches Unvermögen einzelner Beteiligter. Eine bequeme Antwort, die man auch besonders bei der Betrachtung einiger staatlicher Repräsentanten gerne gewillt ist zu glauben.
Doch wie so oft im Leben sind auch hier die einfachsten Antworten lediglich Unfug und Bauernfängerei. Der deutsche Staat ist nämlich durchaus fähig seine politischen Gegner zu erkennen, zu bekämpfen und abzustrafen, wofür das heutige Schauspiel ein kleines, aber durchaus geeignetes Beispiel ist.
Wenn es um die Verfolgung von linken Aktivistinnen und Aktivisten geht, gibt es nämlich plötzlich keinerlei Kommunikationsschwierigkeiten zwischen verschiedenen Länderbehörden mehr, und sogar die Kriminalpolizei erfüllt ihre Aufgabe, anstatt wie in Bayern im Zusammenhang mit dem NSU erfolglos die Dönerbudenszene zu infiltrieren.
Nun drängt sich natürlich die Frage auf, warum die geteilten Gewalten der bundesrepublikanischen Vorzeigedemokratie die faschistische Bewegung nicht – oder wenn, dann stümperhaft – verfolgen, wenn sie doch eigentlich durchaus dazu in der Lage wären. Hierauf kann es nur eine Antwort geben: Nämlich die, dass der bürgerliche Staat mit der faschistischen Bewegung mehr gemeinsame Interessen hat, als er sich selbst eingestehen möchte. Eine Erkenntnis, die durch den Blick in ein Geschichtsbuch bestätigt wird. Schon einmal haben die deutschen Eliten aus Wirtschaft und Politik einer faschistischen Bewegung zur Macht verholfen und sich am Tod von 60 Millionen Menschen mitschuldig gemacht.
Auch wenn die gesellschaftliche Situation heute eine andere als in den 1930ern ist, gibt es keinen Grund, warum die herrschende Klasse das nicht wieder tun sollte, wenn sie sich und ihre gesellschaftliche Stellung bedroht sieht.
Dass der Einsatz und die Überzeugung, für eine Gesellschaft jenseits von Ausbeutung, Krieg und Unterdrückung zu kämpfen, uns immer wieder in den Konflikt mit der hochgerüsteten und oft körperlich unausgelasteten deutschen Polizei bringt, ist in erster Linie logisch – das macht es jedoch nicht weniger schmerzhaft und das juristische Nachspiel auch nicht weniger lästig.
Jedoch darf uns das genauso wenig von unserem Engagement abhalten, wie die Tatsache, dass sogar massive Polizeigewalt gegen Demonstrantinnen und Demonstranten eigentlich immer straffrei bleibt. Bei den Protesten gegen den Naziaufmarsch in Göppingen 2013 wurden mehrere Demonstrantinnen und Demonstranten schwer verletzt. Selbst Verletzungen wie Kopfplatzwunden, die weitaus schlimmere Verletzungen mit sich ziehen können, wurden skrupellos in Kauf genommen, ohne dass sich hierfür irgendein Beamter verantworten musste.
Amnesty International zählte 2008 in Berlin 636 Anzeigen gegen Polizeibeamte wegen des Vorwurfs der Körperverletzung. 616 dieser Verfahren wurden eingestellt, zu einer Verurteilung kam es in keinem der Verfahren.
Das verwundert nicht, denn schon der Volksmund weiß, dass eine Krähe der anderen kein Auge aushackt, und auch der durchschnittliche deutsche Polizist versteht, dass es nicht klug ist, gegen Kollegen zu ermitteln. Denn man selbst könnte nur all zu schnell der nächste Betroffene sein! Hinzu kommt, dass es bei keinem der von Amnesty International überprüften Verfahren gegen Polizeibeamte zu einem rechtlich korrekten Ablauf kam.
Als Demonstrant kann es einem jedoch durchaus passieren, dass man wegen eines erhobenen Armes und einer Plastikfolie vor den Kadi gezerrt wird! Solche Verfahren wiederum finden jährlich zu hunderten in Deutschland statt und enden so gut wie immer mit einer Verurteilung.
Wir dürfen und werden uns nicht von den scheinbar niemals endenden Angriffen auf unsere Strukturen und unsere Rechte einschüchtern lassen, denn „sich fügen heißt lügen“. Nazis und ihre Strukturen müssen bekämpft werden auf allen Ebenen und mit ALLEN Mitteln!
Antifa ist Handarbeit!”