Am ersten Juliwochenende 2022 will die AfD Baden-Württemberg im Stuttgarter „Carl Benz Center“, direkt neben dem Neckarstadion, ihren Landesparteitag durchführen. Zwei Tage lang wollen sich eine dreistellige Anzahl an Rechten im migrantisch und proletarisch geprägten Stadtteil Cannstatt treffen.
Es ist das erste mal seit der Wahlparty 2015, dass sich die AfD mit einem großen Treffen direkt in die Innenstadtbezirke der Landeshauptstadt traut. Die Vorsicht der Rechten ist nicht unbegründet: Veranstaltungen der AfD wurden im Großraum Stuttgart immer von direktem Protest begleitet, entfalteten deswegen kaum Außenwirkung und waren mit viel organisatorischem Aufwand für die Partei verbunden. Die schleichende Normalisierung rechter Aktivitäten ist hier nie unwidersprochen hingenommen worden.
Daran wird sich auch jetzt nichts ändern! Die Versammlung der AfD in Cannstatt können und werden wir nicht akzeptieren. Faschist:innen und andere Rechte haben in unseren Städten und Vierteln keinen Platz. Weder in Cannstatt noch sonst wo!
Wo steht die AfD?
Der Parteitag Anfang Juli ist das erste zentrale Treffen des Landesverbands seit dem Beginn der Corona-Pandemie. Die letzte große Versammlung vor der Pandemie war geprägt von den innerparteilichen Flügelkämpfen, welche in einer Kampfabstimmung um den Landesvorsitz endeten. Der Repräsentant des offen faschistischen Flügels Dirk Spaniel verlor denkbar knapp gegen die Fraktionsvorsitzende im Bundestag Alice Weidel.
Schon damals war für alle sichtbar: Der baden-württembergische Landesverband ist – wie die Bundespartei auch – zerstritten und von internen Lagerkämpfen um die Ausrichtung der AfD geprägt. Unterschiedliche Spektren der Rechten kämpfen seit Gründung der AfD um Einfluss und die Linie der Partei.
Einen weiteren Höhepunkt erlebten diese Kämpfe im Rückzug des langjährigen Bundessprechers Jörg Meuthen im Januar 2022. Sein Austritt bestätigte die seit Gründung andauernde Tendenz: In den Flügelkämpfen setzt sich am Ende immer der rechtere Rand durch. Das war bei Lucke so, das war bei Petry so und das belegt auch der Fall Meuthen.
Was im Umkehrschluss nicht heißen soll, dass wir um die „gemäßigten“ Teile trauern. Sie waren Steigbügelhalter:innen der Faschist:innen, haben oft genug gemeinsame Sache gemacht und die Partei mit zum dem gemacht, was sie jetzt ist. Zwar ist die AfD nach wie vor in ihrer Gesamtheit keine faschistische Partei, sehr wohl aber ein extrem rechter Zusammenschluss der sich in der Hand eines offen faschistischen Flügels befindet.
Die gesellschaftliche Lage
Es ist nicht zu übersehen, dass die Zeit des Aufschwungs momentan für die AfD vorbei ist. Zuletzt flog sie in Schleswig-Holstein sogar das erste Mal seit ihrer Gründung aus einem Landesparlament. Trotzdem wäre es falsch jetzt schon vom nahenden Ende der Partei zu sprechen. Die schlechten bzw. stagnierenden Wahlergebnisse und Umfragen dürfen nicht über die objektiven Gegebenheiten hinweg täuschen. Die aktuelle Situation birgt weiterhin hohes Potenzial für rechte Wahlerfolge und Dynamiken:
Nach Jahren des gefühlten „Politik-Stillstands“ bewegt sich innerhalb kurzer Zeit unglaublich viel, so gut wie nichts davon zum Guten. Die Auswirkungen der kapitalistischen Krise werden mehr und mehr im Alltag der Menschen in Deutschland spür- und wahrnembar: Steigende Preise, Inflation und der Krieg in der Ukraine. Viele Menschen verlieren in Anbetracht dieser Kriseneinschläge völlig zu Recht das Vertrauen in die Politik der Herrschenden und sind auf der Suche nach Alternativen. Schließlich machen Habeck, Scholz und Lindner unmissverständlich klar wohin die Reise in den nächsten Jahren geht. Wer davon spricht sich „einen zweiten Pulli drüber zu ziehen“ meint eigentlich: Die Krisenfolgen zahlen nicht die Großkonzerne sondern die kleinen Leute. Daran ändern auch kosmetische Maßnahmen, wie das kostengünstige Nahverkehrsticket, absolut nichts.
Gesellschaftliche Stimmungen können sich in einer solch hoch-politischen Zeit schnell ändern – manchmal reicht dafür ein kleiner Funken. In Zeiten in denen greifbare linke und klassenbewusste Antworten auf die kapitalistische Krise fehlen eine brandgefährliche Ausgangslage. Auch wenn größere Proteste auf der Straße aktuell noch ausbleiben, werden diese völlig zu recht früher oder später kommen. Dann kann die Stunde der AfD schlagen, schließlich ist sie schon jetzt die einzige bundesweit sichtbare und medial präsente Fundamental-Opposition gegen die Politik der Ampel-Regierung.
Als antifaschistische Bewegung tun wir daher gut daran, die AfD nicht klein zu reden oder uns von Stimmungsumfragen täuschen zu lassen. Denn selbst wenn Wahlerfolge weiterhin auf sich warten lassen, bleibt der in den letzten Jahren aufgebaute Apparat mit massiven finanziellen Ressourcen und einer organisierten Basis bestehen. Der Kampf gegen eine Partei mit mehr und mehr offen faschistischen Zügen ist also immer noch brandaktuell.
Widerstand leisten!
Wir verschließen unsere Augen nicht vor der Realität: Die AfD ist salonfähig geworden und gehört inzwischen zum akzeptierten Teil des bürgerlichen Parlamentarismus. Die breite gesellschaftliche Empörung ist verschwunden und immer weniger Menschen kämpfen aktiv gegen rechte Umtriebe. Das ist kein Grund den Kopf in den Sand zu stecken, vielmehr müssen wir es schaffen den Kampf gegen Rechts wieder auf mehr Schultern zu verteilen.
Dafür darf die antifaschistische Bewegung nicht bei einer moralischen Kritik der Rechten stehen bleiben. Wir müssen den Menschen die Motivation nehmen rechte Parteien zu wählen. Dabei sind nicht diejenigen mit einem geschlossenen rechten Weltbild gemeint, sondern die Bevölkerungsteile, die aufgrund ihrer Perspektivlosigkeit auf die soziale Demagogie der AfD hereinfallen. Ein wirksamer Antifaschismus muss diese Menschen erreichen und ihnen klar machen, dass die Rechten keine wirklichen Lösungen für die Probleme unserer Zeit haben. Und das gerade weil sie die Ursachen der Krise, das profitorientierte Wirtschaften, verschärfen statt abschaffen wollen. Die Kritik an rechter „Sozialpolitik“ muss deswegen immer verknüpft sein mit linken Ideen und einer scharfen Kritik an den kapitalistischen Verhältnissen.
So sehr wir auf der einen Seite ein antifaschistisches Bewusstsein in der Bevölkerung entwickeln und stärken müssen, so entschieden müssen wir auf der anderen Seite die AfD, ihr Strukturen und ihre Repräsentant:innen bekämpfen. Jede Veranstaltung mit Protest, jede verlorene Räumlichkeit und jeder verhinderte Infostand schränkt die Arbeit der Partei konkret ein. Auch wenn das bei der allgegenwärtigen rechten Präsenz viel Zeit und Energie kostet, lohnen sich diese Kämpfe nach wie vor: Wenn eine Partei nicht in der Lage ist ungestört in die Öffentlichkeit zu treten oder Schwierigkeiten hat Infrastruktur zu schaffen, dann hindert sie das ganz konkret in ihrer Weiterentwicklung.
Deswegen werden wir da sein, wenn die AfD nach Stuttgart kommt und rufen alle auf gemeinsam in Cannstatt auf die Straße zu gehen. Gemeinsam wollen wir deutlich machen: Wir akzeptieren die Normalisierung rechter und faschistischer Positionen nicht. Wir stellen uns ihnen entgegen. Mit vielen anderen, auf verschiedenen Ebenen und mit allem, was dafür notwendig ist.
Alle auf die Straße! Cannstatt Nazifrei!